Ausgehöhlt und aufgebläht
Am Grenzübergang zur Türkei wird uns eindrücklich bewusst, was Landesgrenzen bedeuten können. Während die Grenzen in der EU noch unscheinbar und problemlos passierbar waren, erwarten uns hier neben einer gigantischen Türkeiflagge stark bewaffnete Polizisten und vermummte Armeeangehörige. Glücklicherweise lassen sie uns trotz fehlender Pässe (die mussten wir für das Russland-Visum zurück in die Schweiz schicken) passieren. «Welcome to Turkey!», eine Begrüssung, welche wir in den nächsten Wochen noch häufig hören werden.
Wir fahren durch endlose Sonnenblumenfelder und erreichen Istanbul, wo wir uns zur Abwechslung (und dank Nadine’s Gotti) zum ersten Mal ein Hotel leisten. Die authentische, familiäre Unterkunft liegt gleich unterhalb der Blauen Moschee und somit mitten im historischen Zentrum der pulsierenden Grossstadt. Vom Muezzin geweckt, tauchen wir ein in eine ambivalente Stadt zwischen Tradition und Moderne. Auf den Strassen begegnen wir komplett verhüllten Frauen bis hin zu westlich gekleideten Türkinnen mit offenem, wallendem Haar. In der Hagia Sophia, einer ehemals byzantinischen Kirche, versucht uns Aisha, eine junge Studentin, den Islam näher zu bringen. Warum es beispielsweise keine weiblichen Muezzine gibt, oder dass problematische Sichtweisen nicht ein Problem der Religion (also des Islams), sondern der Kultur sind.
Nach zwei eindrücklichen Tagen in der türkischen Grossstadt setzen wir unsere Reise Richtung Osten fort. Durch einen unterirdischen Tunnel durchqueren wir den Bosporus und fahren auf der asiatischen Seite weiter, durch riesige Wolkenkratzerquartiere bis ans Ende der Grossmetropole. Nach Ankara und endlosen Getreidefeldern finden wir eher zufällig zu einem riesigen Salzsee, den Tuz Gölü. Rund 70% des in der Türkei konsumierten Salzes wird hier abgebaut. Fasziniert von der riesigen, menschenleeren Salzwüste entscheiden wir uns, hier eine Nacht zu verbringen.
Auf einer Hochebene Zentralanatoliens erwartet uns eine märchenhafte Landschaft mit bizarren Felsformationen und Höhlenlandschaften: Kappadokien. Urchristen haben früher in diesem Gebiet Zuflucht gesucht und in das weiche Tuffgestein Kirchen und ganze Städte gehauen. Auch unterirdische, bis zu zehn Stockwerke tiefe Städte sind in dieser Zeit entstanden.
Ein absolutes Touristenhighlight ist, die märchenhafte Landschaft aus der Luft zu bestaunen. Jeden Morgen starten bei Sonnenaufgang rund 100 Heissluftballone, ein eindrücklicher aber auch teurer Spass (200$/ Person). Wir entscheiden uns, das Spektakel von unten zu verfolgen und übernachten an einem schönen Aussichtspunkt oberhalb von Göreme.
«Krass, krass, krass, kraass!», ist das erste, was Nadine ausruft, als sie frühmorgens erwacht, aus dem Büsslifenster schaut und aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Wo auch immer wir hinschauen, sehen wir in der Morgendämmerung riesige Ballone aufsteigen. Der Himmel ist voll! Und bald auch der bis anhin leere Platz, auf welchem wir geschlafen haben. Von überall her kommen Jeeps angefahren. Der Platz füllt sich innert kürzester Zeit, Musik dröhnt, auf Autodächern tanzen Menschen und Frauen in langen Abendkleidern posieren für das perfekte Foto. Doch das Beste: für nur 750$ kann hier ein einzigartiges «Surprise Proposal» gebucht werden. Blumenbogen, Champagner und Kamerateam sorgen für einen unvergesslichen Antrag. Das Angebot ist so beliebt, dass pro Aussichtspunkt nebeneinander gleich mehrere Ja-Worte fallen. Wie romantisch!