Der liebe Präsident
Grösser hätte der Kontrast zu Usbekistan kaum sein können. Während wir die geschichtsträchtigen Bauten in Samarkand zusammen mit Touristen aus der ganzen Welt bestaunten, sind wir in Tadschikistan plötzlich «alleine». Die Landschaft wird vielseitiger und hügeliger. Flache Steppen weichen hohen Bergen. Vor allem aber hat es plötzlich Wasser. Überall treffen wir auf Bäche und Seen mit kristallklarem Wasser – die wichtigste Ressource Tadschikistans.
Wir machen einen Abstecher ins Fan-Gebirge, wo wir die «Seven Lakes», eine Reihe verschiedenfarbiger Gebirgsseen, besuchen. Die Landschaft erinnert an die Schweiz. Und doch sind die Berge Tadschikistans mit den Alpen kaum vergleichbar. Zwar ist das Land wegen der Gletscher grundsätzlich reich an Wasser, vielerorts aber ist die Niederschlagsmenge so gering, dass die Landschaft braun und karg erscheint. Statt saftiger Alpweiden dominieren verschiedenfarbige Schutthänge. Einzig entlang der Flüsse oder in bewässerten Gebieten um die Siedlungen herum entstehen grüne Oasen. Anders als in der Schweiz laufen die zahlreichen Weidetiere überall frei herum. Vor allem Esel gehören zum Alltagsbild. Sie dienen als Schulbus für Kinder, Reittier älterer Männer oder ganz klassisch als unersetzlicher Lastenträger.
Nach mehreren Wochen in usbekischen Städten sehnen wir uns nach Bewegung und entschliessen uns, wieder einmal einen geeigneten Kletterfels zu suchen. Kurz vor Duschanbe werden wir fündig. Nahe Varzob wandern wir in ein wildes Seitental, wo gut abgesicherte Routen in einem schönen Fels auf uns warten. Toll! 😊
Um uns mit reichlich Lebensmitteln für den bevorstehenden Pamir Highway einzudecken, verlassen wir das ländliche Gebiet und wagen uns nach Duschanbe, der Hauptstadt Tadschikistans. Auch hier wieder könnte der Kontrast kaum grösser sein. Während die Leute in der Bergregion unter einfachsten Bedingungen als Selbstversorger leben oder als Gastarbeiter in Russland ihr Glück versuchen, protzt die Hauptstadt mit riesigen Prunkbauten. Hinter breiten, grünen Boulevards erheben sich sowjetische Plattenbauten, aber auch moderne Hochhäuser. Überall arbeiten Menschen mit Leuchtwesten, welche den Boden wischen oder Strassenrabatten neu bepflanzen. Anders als auf dem Land ist hier alles sauber und gepflegt. Das Budget für den Unterhalt scheint gross, oder die Löhne sind unglaublich niedrig. Auf jeden Fall kann das arme Land für Dinge Geld aufbringen, über wessen Nutzen man streiten kann.
Neben der für lange Zeit höchsten Fahnenstange der Welt, rühmt sich die Stadt mit der grössten Bibliothek Zentralasiens. Dass die Bürger des Landes für die Eröffnung um private Buchspenden gebeten wurden, um die riesigen Räume zu füllen, wird uns an der Führung nicht erzählt. Stattdessen berichtet man uns stolz vom Förderprogramm des Präsidenten: Studenten, die eine bestimmte Büchersammlung gelesen haben, können sich freiwillig zu einer Art mündlichen Prüfung anmelden. Die besten Schüler erhalten ein Preisgeld von umgerechnet knapp 6000 CHF - ein Vermögen für dieses Land!
Der grosszügige Präsident Emomalji Rahmon begleitet uns nicht nur in Duschanbe, sondern auf unserer gesamten Reise durch Tadschikistan. Auf grossen Plakaten wird er in unterschiedlichsten Inszenierungen gezeigt: einmal mit einem Brot in einem üppigen Getreidefeld, mal mit glücklichen Kindern oder in einem Tulpenmeer vor dem Regierungsgebäude. Wie viel Geld hier wohl jährlich für die Werbekampagne des Präsidenten ausgegeben wird?