Diktatorische Gastfreundschaft

Usbekistan •

Wie kommt man am einfachsten mit Einheimischen in Kontakt? Am besten über Freunde. So erhalten wir von einem Schweizer Pärchen, welches vor zwei Jahren mit dem Fahrrad bis nach Kirgistan gefahren ist, die Adresse einer usbekischen Familie. «Die müsst ihr unbedingt besuchen und von uns Grüssen!» schwärmen sie und schicken uns die Adresse. Dank alten Fotos, soll die Familie sich an die Schweizer Radfahrer erinnern. Wir sind neugierig. Trotzdem fühlte es sich komisch an, ohne Vorankündigung bei unbekannten Leuten aufzukreuzen, mit welchen wir uns nicht einmal verständigen können. Wie würden sie reagieren?

Dank den Tandur-Ofen, welche vor dem einfachen Lehmhaus stehen, wissen wir, dass wir hier richtig sein müssen. Vorsichtig treten wir in den Innenhof, wo uns ein paar neugierige Kinder und eine ältere Frau entgegen kommen. «Salam alaikum!», grüssen wir und zeigen etwas unsicher die Fotos, welche uns Tonja und Milan geschickt haben. Die alte Frau lächelt und winkt uns ins Haus, wo sich bald schon die ganze Familie zum Tee um uns versammelt. Sie begrüssen uns, als wären wir alte Bekannte, schenken uns Tee ein und beugen sich interessiert über die Fotos, welche wir ihnen zeigen. Azim, der Familienvater lacht und deutet auf Janosch’s Haar, welches um einiges länger ist als jenes von Milan auf dem Foto. Erst jetzt realisierten wir, dass sie uns für das Schweizer Pärchen halten, welches sie vor zwei Jahren kennen gelernt haben.

Eine Nachbarin, welche Englisch spricht, wird herbeigeholt und kann das Missverständnis klären. Willkommene Gäste bleiben wir trotzdem. Mustari, die Tochter, entdeckt sofort die Ukulele in unserem Büssli, während uns Abdölasis, der jüngere Sohn als willkommene Volleyballpartner sieht. Schnell ist klar, dass wir hier nicht so schnell wieder wegkommen würden.

Azim und seine Familie stellen in aufwändiger Handarbeit traditionelle Tandur-Ofen her, welchen man in Usbekistan an fast jeder Strassenecke begegnet. «Um dem gesamten Produktionsprozess beiwohnen zu können, müsst ihr mindestens zwei Tage hier bleiben», übersetzt Zakhro, die Nachbarin. Wir haben Lust, vertiefter in die Kultur einzutauchen und nehmen die Einladung dankend an.

Janosch wird sofort eingespannt und soll mit Azim auf den Markt, um einen Tandur zu verkaufen. Da den Männern vorbehalten, muss Nadine im Dorf bleiben. Erst möchte sie protestieren, merkt dann aber, dass ihr Programm bereits feststeht. Stolz über einen ausländischen Gast, wird sie dem halben Dorf vorgeführt und abermals zum Tee eingeladen. In einer Frauenrunde lernt Nadine, wie die traditionellen Somsa zubereitet werden, aber auch wie usbekische Frauen zu ihren Ehemännern kommen und wann der beste Zeitpunkt ist, um Kinder zu kriegen.

Es ist bereits dunkel, als die Übersetzerin Nadine wieder zur Familie zurück bringt. Neben Janosch wartet ein reich gedeckter Tisch und ein leckeres Plov, ein usbekisches Reisgericht. Da bereits mit Somsa gefüttert, ist Nadine eigentlich längst satt. Essen ablehnen? Nicht in Usbekistan! Immer wieder werden uns neue Teller hingestellt, welche es brav zu leeren gilt. Protest wird nicht geduldet.

Wir sind froh, dass wir uns nach all der Völlerei doch noch etwas körperlich betätigen können. Da wir uns für die Produktion der Tandur-Ofen interessieren, dürfen wir dem kompletten Prozess beiwohnen und sogar selbst mitanpacken: Lehm stampfen, Rollen formen und Wände zurechtklopfen. Als Dankeschön möchte uns die Familie einen Tandur schenken. «Ich habe einen kleinen Ofen», meint Azim, «der passt schon in euer Auto». Wir versuchen zu erklären, dass auch ein kleiner Tandur viel zu gross wäre, dass wir noch lange unterwegs seien und der Ofen kaputt gehen würde. Jegliche Argumente werden ignoriert. Und so verabschieden wir uns am dritten Tag (eigentlich hätten sie uns noch viel länger bei sich behalten wollen) mit einem Tandur-Ofen und Reiseproviant der Grossmutter im Gepäck, vor allem aber mit einmaligen Erinnerungen an eine liebenswerte, wenn nicht schon diktatorisch gastfreundliche Familie.