Einreise mit Countdown

China •

Der Countdown läuft. Am Abend vor dem Grenzübertritt nach China erscheint plötzlich ein AdBlue Fehler: in 1’000km kein Motorstart mehr. Der Schock sitzt tief. Wir recherchieren wie wild und versuchen bereits im Dunkeln der Nacht alles mögliche, um den Fehler zu beheben. Vom Abhängen der Batterie bis hin zum Neuerlernen der AdBlue-Grundeinstellungen mittels unseres Diagnosegeräts. Der ursprüngliche Fehler “AdBlue Einspritzventil verstopft” taucht zwar nicht mehr auf, der Countdown aber bleibt. Wir erfahren, dass der AdBlue Countdown nur verschwindet, wenn das Fahrzeug erkennt, dass mit dem AdBlue System alles in Ordnung ist. Dies kann unser Büssli jedoch nicht, da seit der Ausprogrammierung des DPF kein AdBlue mehr eingespritzt wird. Unsere Vermutung: der Auto-Tuner hat beim Ausprogrammieren des Dieselpartikelfilters schlechte Arbeit geleistet.

Der Zeitpunkt für diesen Fehler könnte kaum unpassender sein. In China müssen wir jeden Tag von einem Guide begleitet werden, der viel kostet. Sollen wir also morgen den Grenzübertritt wagen und riskieren, in 1’000km zu stranden? Oder besser zurück nach Kasachstan, wo es immerhin eine offizielle VW Garage gibt? Unser China-Tour Anbieter überzeugt uns schliesslich einzureisen, da es auch in Kasghar grosse VW Garagen geben soll.

Am nächsten Morgen fahren wir mit einem mulmigen Gefühl Richtung Torugart Pass, dem Grenzpass zwischen Kirgistan und China. Immerhin erweist sich der Countdown als “zuverlässig”. Er zählt korrekt mit und keine weiteren Fehler tauchen auf. So kommen wir gut voran und passieren vor dem Pass eine ewig lange (19.5 km) Lastwagenkolonne, die erst beim Grenzposten endet. Mit 46 Lastwagen pro Kilometer sind dies über 900 Lastwagen! Ein Grenzwächter erzählt uns, dass die Fahrer hier circa eine Woche warten. Das ist schon heftig auf über 3’700 müM und eisiger Kälte. Zum Glück gilt das nicht für uns und wir können rasch den kirgisischen Grenzposten passieren..

Auf der chinesischen Seite werden wir zunächst unfreundlich empfangen und weggeschickt. Als wir ihnen erklären, dass ein Guide auf uns wartet, werden sie wohlwollender und lassen uns durch das erste Grenztor. Beim zweiten Posten treffen wir auf unsere Begleiterin für die nächsten zwei Wochen und einen Helfer, der für uns die Einreiseformalitäten erledigen wird. Hier werden unsere Fingerabdrücke genommen, unsere Gesichter fotografiert, das Fahrzeug geröntgt und durchsucht. Gemüse, Obst, Fleisch und Milchprodukte dürfen nicht über die Grenze gebracht werden. Zum Glück erfuhren wir dies bereits zwei Wochen vorher und konnten unseren Vorrat abbauen. Ein Augenmerk wird auch auf Messer gelegt. So haben wir unser grosses Küchenmesser bewusst orthogonal zum Fahrzeug versteckt, damit es im X-Ray nicht sichtbar ist. Als der Grenzbeamte nach Messern fragt, gibt er sich mit den drei kleinen Victorinox-Schnitzern zufrieden, die wir dann auch behalten dürfen.

Wir fahren 120km weiter zum letzten Posten, dem Zoll. Gemäss vorgegebenem Ablauf werden hier unter anderem die persönlichen Gepäckstücke geröntgt. Dass wir keine Gepäckstücke haben, sondern alles im Büssli verstaut ist, wird nicht akzeptiert und so legen wir einen leeren Rucksack in das Röntgengerät. In China wird Prozessen strikt gefolgt. Es ist nicht angezeigt, als Tourist darüber zu diskutieren. Die nötigen Zoll-Papiere für die Weiterfahrt bekommen wir heute leider nicht mehr, und wir müssen unseren Crafter hier stehen lassen. Nach einer Nacht in einem Hotel in Kashgar geht es zurück zum Zoll, um die nötigen Formalitäten zu erledigen: Zolldokumente, chinesische Führer- und Fahrzeugausweise. Willkommen in China!

Der AdBlue-Countdown steht mittlerweile bei 650km. Wie vermutet, kennt sich hier niemand mit neuen Euro6-Motoren aus, und die Garagisten können das Problem nicht lösen. Eines steht jedoch fest: es ist ein Software Problem. Ein Mechaniker-Freund aus der Schweiz gibt uns einen guten Denkanstoss: “Was wäre, wenn das Auto nicht weiss, dass es fährt und entsprechend den Countdown nicht runterzählt?” So bauen wir auf dem Hotelparkplatz das ABS-Steuergerät aus, über welches das Auto die Geschwindigkeit ermittelt. Wie sich herausstellt, hängt neben dem ABS und Tacho vieles mehr von diesem Steuergerät ab: Servolenkung, AirBag, ESP und Parksensoren funktionieren nicht mehr. Unsere Testfahrt missglückt bereits beim Ausparken und wir touchieren ein Fahrzeug mit unserer Anhängerkupplung. So schnell haben wir noch nie so viele Polizisten auf Platz gesehen. Die Situation bleibt zum Glück ruhig und freundlich, und nach ~2 Stunden ist klar, dass unsere chinesische Haftpflichtversicherung den Schaden bezahlt. Das ABS Steuergerät bauen wir wieder ein - ohne zu fahren ist offensichtlich keine Lösung für uns.

Über das Internet findet Janosch einen Tuner im Osten Chinas (4’000km entfernt), der meint, das Problem aus der Ferne beheben zu können. Wir müssten aber zu seinem Kollegen in Kuqa fahren, der ein entsprechendes Diagnosegerät besitzt. Glücklicherweise liegt Kuqa auf unserer Route, ist aber 700km entfernt. Der Countdown ist mittlerweile bei 600km. Dies betrifft zum Glück nur das Starten des Motors, er sollte während der Fahrt nicht plötzlich abstellen.

In Kuqa angekommen ist der Countdown schon lange bei “0km, kein Motorstart mehr”. Tatsächlich, einmal bei der Garage abgestellt, lässt sich der Motor nicht mehr starten. In Erinnerung an das tagelange Software-Gebastel in der Schweiz, fürchten wir, hier länger zu stranden, oder sogar, dass die Reise im Büssli hier endet. Wider erwarten, stellt sich der Tuner jedoch als sehr fähig heraus. Nach einigen Versuchen und sechs Stunden später startet das Auto wieder und eine Testfahrt verläuft problemlos. Alle Fehler sind weg, DPF und AdBlue ausprogrammiert. So wie wir uns das ursprünglich vor dem Start zu Hause vorgestellt haben. Wir sind sehr dankbar und beeindruckt vom Tuner, der vorher noch nie einen VW Crafter gesehen hat. Die Reise geht weiter! 😃