Georgischer Wein
Georgien. Ein kleines Land zwischen Europa und Asien. Ein Land, in welchem diverse Kulturen und unterschiedlichste Landschaften aufeinander treffen. Schon viel haben wir über Georgien gelesen und uns daher entschlossen, hier mehr Zeit zu verbringen. Als wir unsere Reiseroute etwas genauer planen, stossen wir eher zufällig auf ein traditionelles Fest, Shuamtoba genannt. Der Anlass findet jeweils am ersten Augustwochenende statt. Nicht allzu weit entfernt vom Grenzübergang, über welchen wir einreisen. Pferderennen, Ringen, traditionelles Essen und Musik soll es da geben. Ein perfekter Auftakt also, um in die georgische Kultur einzutauchen!
Der Kontrast hätte zu den gut ausgebauten türkischen Strassen nicht grösser sein können. Über eine schlaglochreiche Naturstrasse schlängeln wir uns im Schrittempo die Berge hoch nach Beschumi, wo uns ein zersiedeltes Dorf aus Blech- und Holzhütten erwartet. So was wie Raumplanung gibt es hier nicht. In Beschumi finden wir ein Wirrwar aus Menschen, Pferden und blinkenden Polizeiwagen. Wo aber ist das Festival? Erst nachdem wir bei einem Kiosk nachfragen, werden wir darauf hingewiesen, dass der Anlass kurzfristig um eine Woche verschoben wurde. Warum erfahren wir nicht.
Wir entscheiden, trotzdem eine Nacht auf einem Hügel oberhalb des Dorfes zu verbringen. Einen ersten Eindruck von der georgischen Kultur sollen wir hier auch ohne Shuamtoba erhalten. So kommen gegen Abend gleich mehrere Autos, vollgestopft mit georgischen Grossfamilien querfeldein den Berg hochgefahren. Oben angekommen wird das Autoradio laut aufgedreht, Knabberzeugs und vor allem viel Bier ausgepackt. Die Leute sprechen zwar kaum Englisch, interessieren sich aber sichtlich für unser Gefährt. Um das Interieur besser zu begutachten, steigen sie ungefragt mal schnell ein. Hemmschwellen gibt es hier wohl keine. Gastgeschenke erhalten wir aber auch hier. Statt einem türkischen Chai, wird uns je ein grosser Pappbecher Bier hingestellt. Dazu eine Wassermelone. Gaumarjos!
Der erste Eindruck des Landes (er soll sich später noch ändern) ist etwas enttäuschend. Von den letzten Wochen sind wir uns türkische Gastfreundschaft, leckeren Kebab, frisches Gemüse und süssen Chai gewohnt. In Georgien finden wir erstmals nur lieblose Fastfoodstände, fettiges Essen und Supermärkte ohne Frischware. Wo sind nur all die tollen Spezialitäten, von welchen sie in den Podcasts vorgeschwärmt hatten? Spätestens in Tiflis werden wir sie finden und lieben lernen.
In den letzten Tagen waren wir viel unterwegs, was sich merklich auf unsere Stimmung ausgewirkt hat. In Kombination mit der anhaltenden Hitze sind wir beide etwas gereizt und entscheiden, dass es an der Zeit ist, sich endlich wieder mal etwas sportlich zu betätigen. In der Nähe von Katshki finden wir ein grosses Klettergebiet, in welchem wir überschüssige Energie, aber auch die Haut unserer Fingerkuppen schnell loswerden.
Über Tiflis, wo wir ein paar Besorgungen machen, fahren wir in den Osten des Landes. Kachetien ist bekannt für den Weinanbau. Bereits vor 8000 Jahren sollen hier die ersten Reben kultiviert worden sein. Traditionellerweise wird der Traubensaft in grossen Tongefässen im Boden, den Qvevri, vergoren. Die Maische bleibt dabei lange in Kontakt mit dem Saft. Verwendet werden keinerlei Additive wie Schwefel o.ä., wodurch ein Naturwein entsteht, welcher ein ganz besonderes Geschmackserlebnis bietet. Auf zwei verschiedenen Weingütern degustieren wir den traditionellen Qvevri-Wein, begleitet von kross-saftigem Schweinefleisch vom Grill, welches uns noch lange wird schwärmen lassen.
Neben Reben werden in den fruchtbaren Ebenen Kachetiens auch weitere Kulturen wie Obst, Mandeln oder Haselnüsse angebaut. Haselnüsse werden von diversen Einzelbetrieben angebaut und fast ausschliesslich an Ferrero Rocher geliefert, welche diese für einen guten Preis abkauft und unter anderem zu Nutella weiter verarbeitet. Da Ferrero als Haselnussabnehmer eine riesige Marktmacht hat, möchte Camille Bloche eigene Haselnussplantagen aufbauen und damit die eigene Versorgung sicherstellen. Cloé, eine Freundin von Nadine, begleitet in ihrer Bachelorarbeit den Aufbau einer solchen Anlage. Wir besuchen sie auf einer riesigen Haselnussplantage in Znori, wo sie uns über die Herausforderungen des Anbaus erzählt. Auf rund 600ha Land möchte Camille Bloche hier eine Plantage aufbauen. Da das Projekt noch jung ist, sollen «erst» mal auf 40ha Erfahrungen gesammelt werden. Traditionellerweise werden Haselnüsse als Büsche kultiviert. Um die Ernte rationeller gestalten zu können, sollen die Haselnüsse im Projekt auf Bäumen wachsen. Bis zur ersten Ernte dauert es noch eine Weile. Diverse spannende Erfahrungen werden aber bereits jetzt gesammelt.
Nach Wochen in den heissen Ebenen Georgiens, zieht es uns endlich wieder einmal in die Berge. Im Tuscheti Nationalpark möchten wir auf einem mehrtägigen Trekking den wilden Norden des Landes entdecken. Wir lassen unser Büssli in Kvemo Alvani zurück und fahren mit einem Jeep-Taxi über den berüchtigten Albano-Pass nach Omalo. Mit Rucksack und Zelt wandern wir über weite Hochebenen und wilde Flusstäler der russischen Grenze entlang bis nach Shatili. Menschen begegnen wir kaum. Dafür umso mehr Pferden, Kühen, Schafen und den nicht ganz harmlosen Hirtenhunden, welche sie vor den Wolfsrudeln schützen. Vieles erinnert uns an die Schweiz. Und doch ist es anders. Weiter. Wilder.
Nach vier Tagen Trekking kommen wir in Shatili an, wo wir uns im überdimensionierten, modernen Touristeninformationszentrum erkunden wollen, wie wir zurück zu unserem Auto gelangen. Ein Taxi könne uns für 400 Lari (130 CHF!) in die nächstgrössere Ortschaft auf der anderen Seite des Passes bringen, meint die lustlose Dame am Empfang. Ansonsten gäbe es keine Möglichkeiten. Diesen überrissenen Preis zu zahlen ist uns definitiv zu blöd und so stellen wir uns neben einen Grenzwächter an die leere Strasse und versuchen es wie er mit Autostopp. Wir haben Glück und werden bald schon von einer russischen Familie mitgenommen, welche zum Wandern in Shatili war. Da sie vor dem Krieg geflüchtet sind, leben sie momentan (wie viele Russen) in Tiflis. Während unserer Autofahrt erfahren wir viel über ihre Haltung zum Ukrainekrieg, die Propaganda in Russland und wie ihre besten Freunde durch den Einfluss der Medien zu Menschen geworden sind, welche sie kaum wieder erkennen. Kein Podcast hätte spannender sein können als diese Autofahrt!