Hoch zu Ross
Über den Kyzyl-Art-Pass erreichen wir Kirgistan, wo wir erst einmal aufatmen können. Einerseits sind wir froh, hatten wir mit unserem Büssli in den Höhen des Pamir-Gebirges keinerlei Probleme, andererseits da wir endlich wieder in etwas tiefere Lagen gelangen und der Sauerstoffgehalt der Luft entsprechend merklich ansteigt. Zwar haben wir zum Glück nie mit der Höhenkrankheit kämpfen müssen, die dünne Luft hat uns mit der Zeit aber doch etwas zugesetzt.
Über Sary-Tash erreichen wir die Hochebene des Alay-Tals, wo wir uns entscheiden, einen Abstecher Richtung Peak Lenin zu machen. Der Gipfel ist mit seinen 7128 müM bei Bergsteigern aus der ganzen Welt bekannt. Da die Hochtourensaison Mitte Oktober endgültig zu Ende ist, möchten wir von der Basis zumindest zum Camp 1 auf 4400 müM aufsteigen. Doch die braunen Grasflanken weichen schon bald schneebeckten Hängen und wir müssen vorzeitig umkehren. Immerhin konnten wir einen kurzen Blick auf den bekannten 7000er erhaschen. Durch hügelige Landschaften fahren wir zurück in die weite Hochebene des Alay-Tals, auf welcher halbwilde Pferdeherden die letzten Grashalme abfressen. Im Hintergrund erheben sich die mächtigen weissen 7000er des Pamir-Gebirges. Welch herrliche Landschaft!
Auf gut ausgebauten Strassen geht es am nächsten Tag weiter Richtung Osh, der zweitgrössten Stadt des Landes. Wir fahren durch karge Landschaften mit roten Bergen und mehrfarbigen Hügelketten, bevor wir in die fruchtbare Ebene des Ferganatals eintauchen. Anders als Duschanbe wirkt Osh wenig herausgeputzt und sehr authentisch. Bei einer kurzen Wanderung auf den Sulayman-Too erhalten wir einen guten Überblick über die Stadt, bevor wir auch gleich schon wieder eintauchen in das Gewusel des riesigen Jayma Bazaars. Neben billiger Chinaware und einer Fülle von Lebensmitteln finden wir das für uns spannende Handwerksviertel mit Messerschleifern, Drechslern und Co. Vor allem aber interessieren uns die traditionellen Filzprodukte, welche so typisch sind für Kirgistan und fortan als Sitzkissen unser Büssli bereichern.
Eher zufällig trifft Nadine in ihrem fleissigen Reiseliteratur-Studium auf Arslanbob, eine usbekisch geprägte Stadt in den bewaldeten Hügeln am Fusse des Tien-Schan-Gebirges. Hier erstreckt sich auf rund 60’000 Hektaren der grösste Baumnusswald der Welt. Forscher gehen davon aus, dass die bei uns bekannten Zuchtformen auf diese Urwälder zurückgehen. Helvetas baute in Kirgistan das Programm «Community Based Tourism» (CBT) auf, das touristische Angebote in Einbezug der Bevölkerung fördert. In Arslanbob zum Beispiel kann statt in Hotels, direkt bei lokalen Familien, in sogenannten Homestays, übernachtet werden. Auch bieten Einheimische Einblicke in verschiedene Handwerke, leihen Pferde aus oder arbeiten als Guide.
Auch wir nutzen das Angebot von CBT. Da wir Glück haben und die Baumnusslese gerade in vollem Gange ist, dürfen wir selbst mitanpacken und bei der Ernte mithelfen. Viele Familien in Arslanbob pachten vom Staat eine Waldparzelle, auf welchem sie ihr Vieh weiden lassen und im Herbst die Nüsse ernten. Zu dieser Jahreszeit verschiebt sich der Lebenmittelpunkt vieler Dorfbewohner in die Wälder, wo temporäre Zelte als Kochnische oder Übernachtungsort dienen. Die teils bis zu 700 Jahre alten Bäume sind unterdessen geschützt und dürfen nicht geschlagen werden. Die Fläche unter den Bäumen hingegen ist sichtlich übernutzt und die Verjüngung des Waldes aufgrund der intensiven Beweidung schwierig.
Nach einem wunderschönen Herbsttag in den Baumnusswäldern von Arslanbob, packen wir Zelt und Schlafsack für ein dreitägiges Pferdetrecking. Mit gut gefüllten Satteltaschen machen wir uns auf den Weg. «Tschiuu!», rufen wir, um unsere Pferde die nicht ganz einfachen Hänge hoch zu treiben. Leider ist Nadine’s Reittier wenig kräftig und legt sich gar zweimal plötzlich unerwartet hin. Im Gegensatz zu unserem Guide und dem Koch, welcher 16 Jahre als Hirte tätig war, beginnen wir uns um die schwitzenden, keuchenden Pferde zu sorgen. Das Gelände ist teils sehr anspruchsvoll, steinig und rutschig. Ist ein geschwächtes Pferd wirklich noch genügend trittsicher? Als die Hänge immer steiler werden und die Pferde wegen der sich bildenden Schneestollen an den Hufen vermehrt ausrutschen, entscheiden wir in Eigenregie und steigen ab. Etwas Laufen tut gut und unsere Pferde sind uns sichtlich dankbar. Wir reiten durch voralpine Hügelzonen, strukturreiche Agrarflächen und artenreiche Wildobstwälder. Unser lokaler Führer kennt die schönsten Übernachtungsorte und erzählt uns manch Spannendes über die kirgisische Kultur. Zum Beispiel, dass man sich in Kirgistan seit 2023 strafbar macht, wenn man seine Eltern ins Altersheim bringt. Altersheime als Relikt aus der Sowjetzeit wird es bald nicht mehr geben. Stattdessen sollen sich die Kinder im Alter um ihre Eltern kümmern.
Im Gegensatz zu Faisan, dem Guide, spricht Haschim, der Koch kein Englisch. Stattdessen zaubert er dreimal täglich auf dem Feuer eine wunderbare Mahlzeit für uns. Sich auf einem Trekking so verwöhnen zu lassen, daran könnte man sich gewöhnen! 😉